Leben auf ungleichen Wegen

Lebenswege verlaufen unterschiedlich – in Bereichen wie Beruf, Gesundheit und Partnerschaft. Wie entwickeln sich Menschen, Organisationen und Gesellschaften? Wie wirkt sich die soziale Herkunft auf Bildungs- oder Karrierewege aus? Solche Fragen ergründet die Bamberger Empirische Sozialforschung zu Bildung und Arbeit auf europäischem Spitzenniveau.

Das Ziel der Forschenden ist es, Menschen und Gesellschaften besser zu verstehen. Sie geben Denkanstöße, zum Beispiel für Politik, Wirtschaft und das tägliche Leben. Die Disziplinen Pädagogik, Psychologie, Soziologie, BWL, Ökonomie, Politikwissenschaft, Demografie und Statistik arbeiten interdisziplinär zusammen. Sie kooperieren mit regionalen Instituten: mit den beiden An-Instituten, dem Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) und dem Staatsinstitut für Familienforschung (ifb) an der Universität Bamberg, sowie dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Digitale Arbeitswelt

Mona und Roy – 43 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder – arbeiten im Bereich Controlling. Sie verwalten das Budget in Firmen und achten darauf, dass diese wirtschaftlich erfolgreich sind. Roy ist bei einem britischen Unternehmen mit Sitz in der Nähe von Essen beschäftigt, wo das Ehepaar wohnt. Für seine Arbeit spricht er oft mit Vorgesetzten in Großbritannien und mit internationalen Partnerunternehmen. „Durch die Digitalisierung ist vieles leichter geworden, zum Beispiel kann ich mich mit Kooperationspartnern weltweit in Videokonferenzen austauschen“, erläutert Roy.

Wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert und was das für Beschäftigte bedeutet, erforscht die Universität Bamberg. Sie kooperiert hier mit dem IAB in Nürnberg, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Das IAB verfügt über umfangreiche Forschungsdaten. Die beiden Institutionen führen gemeinsame Studien durch. Und: Einige Wissenschaftler*innen forschen am IAB und lehren an der Universität.

Prof. Dr. Silke Anger hat den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Bildungsökonomik, an der Universität Bamberg inne und leitet den Forschungsbereich Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe am IAB. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt – ebenso wie Dr. Olaf Struck, Professor für Arbeitswissenschaft. Wie viele Tätigkeiten in einem Berufsfeld sind automatisierbar und könnten von Robotern übernommen werden? Der Job-Futuromat des IAB gibt einen Eindruck davon.

Die große Befürchtung war, dass die Digitalisierung ganz viele Arbeitsplätze frisst, aber das ist nicht der Fall.

Prof. Dr. Olaf Struck

Auswirkungen auf psychische Gesundheit

Die Digitalisierung ermöglicht es, mehr im Homeoffice zu arbeiten und Besprechungen in Videokonferenzen abzuhalten. Sie wirkt sich aber auch auf die Gesundheit von Beschäftigten aus. Mit den Folgen für das psychische Wohlergehen beschäftigt sich Prof. Dr. Astrid Schütz, die unter anderem Persönlichkeit und interpersonelle Beziehungen im Arbeitskontext erforscht. Ihr Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik gibt die Forschungsergebnisse in Fortbildungen an Organisationen und Unternehmen weiter. Dafür hat Astrid Schütz vor über zehn Jahren das Kompetenzzentrum für Angewandte Personalpsychologie (KAP) gegründet.

Vier Fragen an Psychologin Astrid Schütz

„Durch verstärkte Digitalisierung wurden vielfältige Veränderungen in der Arbeitswelt ausgelöst. Die damit verbundene Dynamik sowie Kommunikationsverdichtung fordert von Beschäftigten hohe Flexibilität und kann mit Belastungen einhergehen. Man spricht in diesem Zusammenhang unter dem Begriff Technostress von Belastungen, die durch die vermehrte Konfrontation mit modernen Informationstechnologien hervorgerufen werden und letztendlich zu emotionaler Erschöpfung und gesundheitlichen Beschwerden führen können. Allerdings können Beschäftigte und Führungskräfte Strategien entwickeln, um die positiven Seiten der Digitalisierung für sich nutzbar zu machen und gleichzeitig Überlastung durch die veränderten Anforderungen zu vermeiden.“

„Stress entsteht, wenn wir das Gefühl haben, nicht ausreichend Ressourcen für die Bewältigung einer Situation zur Verfügung zu haben. Hier spielen digitale Kompetenz und Selbstwirksamkeitserwartung eine Rolle: Hat man das Gefühl, mit den vorhandenen Informationstechnologien gut umgehen und diese zielführend einsetzen zu können, wird man sich in der digitalisierten Arbeitswelt weniger belastet fühlen. Insofern ist das Training digitaler Kompetenz sehr relevant.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist Kontrolle: Hat eine Person das Gefühl, ihr Verhalten in einem gewissen Rahmen kontrollieren zu können – also beispielsweise das E-Mail-Postfach nur in bestimmten Intervallen öffnen zu müssen – reduziert sich das Stressempfinden. Gerade geforderte Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten stellt dagegen ein Gesundheitsrisiko dar, weil die Zeit zur Erholung reduziert wird. Wichtig ist in diesem Kontext Abgrenzung: Menschen, denen es schwerfällt, klare Grenzen bezüglich ihrer Erreichbarkeit nach Arbeitsende zu ziehen und diese zu kommunizieren, können sich weniger gut mental von der Arbeit lösen und sich schlechter erholen. Wenn Gedanken noch am Abend um unerledigte Aufgaben oder Probleme kreisen und die Betroffenen in Alarmbereitschaft sind, weil das Smartphone klingeln könnte oder Push-Nachrichten neue E-Mails anzeigen, fällt das Abschalten schwer.“

„Wichtig sind einerseits Zeit- und Selbstmanagementstrategien. Gerade bei vermehrten Freiräumen und erhöhter Flexibilität ist es wichtig, die eigenen Aufgaben zu strukturieren und zu priorisieren sowie effizienten Umgang mit Ablenkungen zu finden. Dabei stehen Führungskräfte in der Pflicht, Modell zu sein und entsprechende Möglichkeiten zu gewähren. Wichtig ist auch die Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden sowie die Kommunikation im Team. Nötig sind klare Kommunikationsrichtlinien: Wer ist wann auf welchem Wege erreichbar? Welches Medium wird für welchen Zweck genutzt? Auch müssen Prozesse und Abläufe eventuell neu ausgehandelt werden. Wichtig ist es, Klarheit und Transparenz zu schaffen und so Unsicherheiten und potenzielle Konfliktherde zu reduzieren. Für die Einzelnen ist es dabei relevant, sich der eigenen Grenzen bewusst zu sein, diese zu kommunizieren und sich Rituale zur Distanzierung von der Arbeit zu schaffen – zum Beispiel durch Achtsamkeitsübungen, positiv genutzte Pausen im Arbeitsalltag oder das symbolische Beenden des Arbeitstages.“

„Führungskräfte haben sehr starken Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden. Zum einen sind sie Vorbilder: Wenn eine Führungskraft nachts um zwei Uhr E-Mails schreibt und quasi permanent erreichbar ist, vermittelt sie ihren Mitarbeitenden gegebenenfalls, dass entsprechendes Verhalten auch von ihnen erwartet wird. Zudem hat eine Führungskraft Einfluss auf die Arbeitsgestaltung, Ressourcen und Prozesse. Sie ist gefordert, eine gesundheitsförderliche Arbeitsumgebung zu schaffen, also klare Ziele zu setzen und Feedback zu geben, Ressourcen zur Verfügung zu stellen und eine gute Kommunikationskultur zu etablieren.

Auch das konkrete Führungsverhalten beeinflusst die Gesundheit von Mitarbeitenden: Hier zeigt die Forschung, dass negatives Führungsverhalten, geprägt durch Abwertung oder Ausgrenzung der Mitarbeitenden, gesundheitsschädigend wirken kann. Sogenanntes transformationales Führungsverhalten wirkt dagegen durch individualisierte und wertschätzende Behandlung aller Mitarbeitenden sowie Vermittlung einer inspirierenden Vision positiv auf Zufriedenheit, Produktivität und Gesundheit von Mitarbeitenden. Nicht zuletzt kann eine Führungskraft sich nur dann gut um die Gesundheit von Mitarbeitenden kümmern, wenn sie selbst auf ihre Gesundheit achtet und über ausreichend Ressourcen verfügt. Gerade bei der Führung auf Distanz beziehungsweise der virtuellen Führung ist der Beziehungsaufbau und die Herstellung und Förderung eines wertschätzenden, positiven Teamklimas herausfordernd, aber gerade deswegen umso wichtiger.“

Internationaler Arbeitsmarkt

Mona stammt aus dem Ruhrgebiet und arbeitete von 2007 bis 2011 in Essen als Assistentin in der Wirtschaftsprüfung. Anschließend war sie knapp vier Jahre als Controllerin bei einer Organisation in Israel tätig, bei der Roy als Finanzanalyst arbeitete. Dort lernten sich die beiden kennen. Von Anfang an haben sie auf Englisch miteinander gesprochen, Roys Muttersprache. Er wuchs auf dem multikulturellen Inselstaat Singapur auf. Neben Singapur und Israel hat er schon in Australien und Kanada gelebt, seit 2016 in Deutschland. „Weil ich verschiedene Länder und die westliche Kultur kennengelernt habe, war es für mich kein Kulturschock, nach Deutschland zu ziehen“, sagt Roy und lächelt dabei. „Am schwersten fiel es mir am Anfang, Deutsch zu lernen. Es hat mir geholfen, dass ich die Sprache auf der Arbeit üben konnte und mit einer Muttersprachlerin verheiratet bin.“

In Singapur arbeitet Roy in verschiedenen Management-Positionen.

Roy und Mona arbeiten bei einer Organisation in Israel.

Das Ehepaar zieht nach Deutschland.

Roy wird als Controller in Nordrhein-Westfalen beschäftigt.

Solche internationalen Lebenswege spielen als Forschungsgegenstand eine große Rolle. Forschende der Soziologie oder Betriebswirtschaftslehre untersuchen unter anderem die Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeitswelt. Beispielsweise erforscht Prof. Dr. Cornelia Kristen vom Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Sozialstrukturanalyse, ein Teilgebiet sozialer Ungleichheit: Migration.

Karriere und Auslandsaufenthalt

Auch Migrantinnen und Migranten, die auf eigene Initiative auswandern, sind auf Unterstützung angewiesen. Wenn Unternehmen oder Organisationen ausländische Mitarbeitende langfristig binden möchten, ist Einsatz gefragt. Betriebswirtin Prof. Dr. Maike Andresen erforscht unter anderem die internationalen Aspekte des Personalmanagements. Sie initiierte, konzipierte und koordinierte (2018 bis 2021) das EU-Großprojekt GLOMO – Global mobility of employees, das den Zusammenhang von Karriere und Auslandstätigkeit interdisziplinär untersucht. Vier Teilprojekte werden von Projektmitarbeitenden an der Universität Bamberg bearbeitet, unter ihnen Anh Nguyen. Insgesamt umfasst GLOMO 15 Teilprojekte, 8 europäische Partnereinrichtungen, 11 Unternehmen und 4 Millionen Euro Fördergeld.

Vier Fragen an Betriebswirtin Maike Andresen

„Selbst-initiiert Auslandstätige, das heißt Personen, die auf eigene Initiative ins Ausland gehen und dort eine neue Arbeit aufnehmen, verfügen häufig über globale Kompetenzen und wertvolle soziale Netzwerke im In- und Ausland. Diese befähigen sie dazu, die internationale Geschäftstätigkeit ihres Arbeitgebers erfolgreich zu erleichtern. Nur wenige Organisationen wenden jedoch spezifische Diversity-Strategien und Personalmanagementpraktiken an, um ausländische Arbeitskräfte anzuziehen, zu halten und zu managen. Um von der internationalen Diversität zu profitieren, bedarf es maßgeschneiderter Unterstützung ausländischer Arbeitskräfte.“

„Selbst-initiiert Auslandstätige sind in allen Alters- und Karrierestufen vertreten und stellen damit eine heterogene Gruppe mit sehr unterschiedlichen Anforderungen dar. Um von der internationalen Diversität zu profitieren, bedarf es maßgeschneiderter Unterstützung ausländischer Arbeitskräfte: beispielsweise Unterstützung für Familie und Ehepartner, bei Steuern und Bankgeschäften sowie bei Fragen des persönlichen Lebens, wie der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und des Wohlbefindens.

Um selbst-initiiert Auslandstätige darin zu unterstützen, sich eng mit dem Unternehmen und seinen Werten und Zielen identifizieren, können Personalverantwortliche die Verbindungen zwischen den Bedürfnissen des Unternehmens und denen der internationalen Mitarbeitenden betonen. Das fördert ihre Loyalität und ihr Engagement. Karriere- und Anpassungsunterstützung sind der Schlüssel zu einer besseren Einbettung in die Organisation und zu zwischenmenschlichen Bindungen am Arbeitsplatz. Diese wiederum erhöhen die Karrierezufriedenheit und Bleibeabsichten, insbesondere wenn die selbst-initiiert Auslandstätigen nur wenige Staatsangehörige des Gastlandes in ihrem Netzwerk haben.“

„Zu der Karriereunterstützung zählen beispielsweise die Einrichtung eines Mentorensystems, das Angebot von Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten sowie autonomer und herausfordernder Arbeit und die Bereitstellung von Aufstiegsmöglichkeiten. Andere Unterstützungen umfassen Sprach- und interkulturelles Training, Informationen über soziale Unterstützungsdienste und -ressourcen oder die Mitgliedschaft in Wirtschaftsverbänden und Clubs, um selbst-initiiert Auslandstätige beim Aufbau von beruflichen und privaten Netzwerken zu unterstützen. Ebenso wichtig ist die Karriereberatung für mitreisende Ehepartner oder sogar die Unterstützung des Umzugs von Familienmitgliedern in das Land. Dies kann dazu beitragen, Gemeinschaftsbande zu entwickeln und ein Zugehörigkeitsgefühl für selbst-initiiert Auslandstätige zu erzeugen.“

„Es ist wichtig, dass selbst-initiiert Auslandstätige in dem Umfeld, in dem sie leben, sozial eingebunden sind. Die privaten Ressourcen geben ihnen Freiräume, um im Arbeitsumfeld gute Leistungen zu bringen. Die Investition in die Vernetzung in lokalen Gemeinschaften ist daher besonders wichtig, sei es über den Kindergarten oder die Schule der Kinder, den Sportverein oder den Aufbau von Freundeskreisen – nicht nur mit anderen internationalen Mitbürger*innen, sondern insbesondere auch lokalen Personen.“

Internationale Graduiertenschule

Michael Gebel, Cornelia Kristen, Steffen Schindler, Olaf Struck und Sabine Weinert gehören zu rund 30 betreuenden Professor*innen an der Bamberg Graduate School of Social Sciences (BAGSS). Die BAGSS schafft ein strukturiertes, internationales Arbeitsfeld für hochqualifizierte Doktorand*innen. Ihr Schwerpunkt liegt auf empirischen Sozial- und Humanwissenschaften.

Die BAGSS wurde 2010 gegründet und mit über 8,6 Millionen Euro zu einer internationalen Graduiertenschule ausgebaut. Dies wurde durch die Förderung im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen möglich, von der die BAGSS 2012 bis 2019 profitierte. Seither wird sie aus Mitteln des Freistaats Bayern weiter gefördert.

Dadurch können 87 Promovierende ihre Qualifikationsarbeiten schreiben – 67 Alumni haben sie bereits abgeschlossen (Stand: 2021). „Die Millionenförderung hat dazu geführt, dass unsere sozialwissenschaftliche Forschung international deutlich sichtbar wurde“, sagt Prof. Dr. Thomas Saalfeld, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, der die BAGSS zehn Jahre lang leitete. „Die BAGSS hat zahlreiche erstklassige Promotionen und Publikationen in internationalen Fachjournalen hervorgebracht. Einige Absolvierende wurden bereits auf Professuren berufen, zum Beispiel Dr. Gundula Zoch auf die Juniorprofessur für Soziologie sozialer Ungleichheit an der Universität Oldenburg.“

Initiativen wie diese holen internationale Expertise nach Bamberg. Umgekehrt sind zahlreiche Bamberger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit tätig und anerkannt. Darunter befinden sich Forschende, die mit den international renommierten ERC Grants des Europäischen Forschungsrats und Marie Curie Grants ausgezeichnet sind. Kennzeichnend für Bamberg sind längsschnittliche Studien, um Bildungsverläufe und -übergänge zu beschreiben und zu erklären.

Arbeitsteilung und Familie

Die beiden Söhne von Roy und Mona sind vier und sechs Jahre alt. Einer besucht den Kindergarten, einer die erste Klasse. Von 2015 bis 2019 hat Mona sich ausschließlich um Kinder und Haushalt gekümmert. Seitdem arbeitet sie in Teilzeit – momentan in einer Finanzabteilung in Frankfurt. „Ich bin nach wie vor die Hauptbezugsperson für die Kinder und erledige die meisten Aufgaben im Haushalt“, schildert Mona. Damit Roy, der in Vollzeit arbeitet, möglichst viel Zeit mit den Söhnen verbringen kann, kümmert er sich am Wochenende besonders intensiv um sie. Und er bringt sie jeden Abend ins Bett.

Mona ist Mutter und Hausfrau.

Das Ehepaar zieht nach Deutschland.

Mona arbeitet in Teilzeit als Controllerin.

Die Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit spielt im Rahmen der Familienforschung an der Universität Bamberg eine große Rolle. Es gibt vielfältige Projekte, vor allem in Kooperation mit dem Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb), das Prof. Dr. Henriette Engelhardt-Wölfler leitet. Das ifb ist in Deutschland das einzige sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut, das sich nur der Familienforschung widmet. Auf interdisziplinäre Weise untersucht es, was Familien brauchen, wie sie ihr Leben gestalten und wie sich ihre Lebensumstände verändern. Die Aufgaben des ifb umfassen vor allem drei Bereiche: Grundlagenforschung, etwa zu Entwicklungen und Strukturen von Familien. Angewandte Forschung, zum Beispiel Evaluation von familienpolitischen Maßnahmen. Politikberatung, unter anderem für Ministerien, Verbände und kommunale Stellen.

PD Dr. Florian Schulz vom ifb, Prof. Dr. Thomas Leopold und Dr. Jan Skopek haben die Veränderung der Hausarbeitszeit von Männern und Frauen untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Frauen nach wie vor deutlich mehr Zeit für Hausarbeit verwenden als Männer, sich diese Geschlechterungleichheit jedoch im Lebenslauf verändert. Die Beobachtungen der Wissenschaftler stützen die These, dass sich die Geschlechter im Bereich der unbezahlten Arbeit zunehmend annähern.

Entwicklung der täglichen Hausarbeitszeit im Lebenslauf

Aktuelle Arbeitsteilung im Haushalt

Handlungsempfehlungen des ifb

Es gibt kaum noch Bildungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Trotzdem leisten Frauen über fast alle Lebensphasen hinweg mehr unbezahlte Hausarbeit als Männer.► Die strukturellen Rahmenbedingungen müssen sich ändern, sodass Frauen und Männer ihre Wünsche nach einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung umsetzen können.
Wie viel Zeit verwenden Männer und Frauen für Hausarbeit? Über Generationen hinweg nehmen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ab. Dieser Prozess verläuft jedoch sehr langsam.► Die Ehe- und Paarberatung sowie die Familienbildung können Frauen und Männer dabei unterstützen, die Arbeitsteilung zu arrangieren. Und sie können Paare bestärken, ihre Wunschvorstellungen zu verwirklichen.
Nach der Familiengründung können Paare ihren Wunsch nach einer gleichberechtigten Arbeitsteilung meist nicht mehr umsetzen. Sie übernehmen traditionelle Muster.► Initiativen zur Förderung der Berufsrückkehr nach der Babypause müssen die ungleiche Verteilung der Hausarbeit im Blick behalten.

Schon in der Kindheit und Jugend werden traditionelle Geschlechterrollen verinnerlicht und nachgelebt.

► Damit Kinder und Jugendliche Geschlechterungleichheiten und -stereotype reflektieren, ist eine geschlechtersensible Erziehung und Pädagogik nötig.

Ist es ansteckend, Kinder zu kriegen?

Was zunächst wie ein Scherz klingt, ist in Bamberg Realität: Hier untersuchen Forschende gemeinsam, wie stark die Ansteckungseffekte verschiedener Netzwerke wie Familie und Arbeitsplatz sind. „Es ist wahrscheinlicher, ein Kind zu bekommen, wenn Geschwister, Kolleginnen und Kollegen eines bekommen“, fasst Dr. Henriette Engelhardt-Wölfler, Professorin für Demografie, die Studienergebnisse zusammen. „Darüber hinaus konnten wir sogenannte Spillover-Effekte über Netzwerkgrenzen hinweg nachweisen.“ Damit ist eine Art Kettenreaktion gemeint: Wird eine Person von Kolleg*innen mit dem Kinderwunsch angesteckt, beeinflusst sie ihre Geschwister, die wiederum ihre sozialen Kontakte anstecken.

Frühe Kindheit

„Wir möchten unsere Kinder ausgewogen erziehen“, erzählt Mona. „Das bedeutet, dass wir sie geistig-moralisch, intellektuell und in den Bereichen Bewegung und gesunde Ernährung fördern.“ Zum Beispiel lesen Mona und Roy ihren Söhnen Bücher vor und unternehmen mit ihnen sportliche Aktivitäten wie Radfahren und Schwimmen. Das Ehepaar bezieht die Kinder ein, wenn sie sich in der Nachbarschaft engagieren. Außerdem wachsen ihre Söhne zweisprachig auf: Roy spricht mit ihnen Englisch und achtet darauf, dass sie ihm in derselben Sprache antworten. Durch Mona und den Alltag in Essen lernen die Kinder Deutsch.

Die ersten Lebensjahre sind für Kinder besonders prägend. Unter welchen Umständen sie aufwachsen, hat entscheidende Auswirkungen auf ihren weiteren Lebensverlauf: auf Bildungs- und Karrierewege oder auch ihre Gesundheit. Um zu untersuchen, welche Faktoren zu welchen Entwicklungen im späteren Leben führen, verwenden viele Forschende der Universität Bamberg Daten des Nationalen Bildungspanels.

Nationales Bildungspanel

Soziologe Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Blossfeld schuf 2008 einen Leuchtturm in Bamberg: das Nationale Bildungspanel (NEPS). Es startete als Drittmittel-Projekt am Institut für bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung (INBIL) der Universität Bamberg. Bis 2012 leitete Blossfeld das NEPS, das Längsschnittdaten zu Bildungsprozessen, -entscheidungen und -ergebnissen über die gesamte Lebensspanne erhebt. 2014 wurde es zum Herzstück des neu gegründeten Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi).

Das An-Institut und die Universität sind bis heute eng miteinander vernetzt. „Das NEPS zählt zu den größten bildungswissenschaftlichen Längsschnittstudien weltweit“, hebt Prof. Dr. Cordula Artelt hervor, die das LIfBi als Direktorin leitet. „Wir stellen eine grundlegende, überregional und international bedeutsame, forschungsbasierte Infrastruktur für die empirische Bildungsforschung zur Verfügung.“

Wie kommen die NEPS-Daten zustande?

Wer etwas gegen Bildungsungleichheit unternehmen will, muss in der Zeit vor der Schule ansetzen.

Prof. Dr. Sabine Weinert

Frühe Unterschiede

Die NEPS-Studien wurden unter anderem durch die längsschnittliche Bamberger BiKS-Studie angeregt. BiKS steht für: Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter. Dabei handelt es sich um die erste umfängliche Studie in Deutschland, die untersucht hat, wie sich frühe Kompetenzen und Erfahrungen in Familie, Kindergarten und Schule auf die spätere Entwicklung auswirken. Die Forschungsgruppe besteht aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Disziplinen Pädagogik, Psychologie und Soziologie.

Ein Ergebnis ist beispielsweise, dass sich die bildungsbezogenen Fähigkeiten schon bei Dreijährigen deutlich unterscheiden: Jungen und Mädchen aus gebildeteren Familien kannten sehr viel mehr Wörter als diejenigen aus weniger gebildeten Familien. Erstere verstanden komplexe Sätze, Zahlen und Formen besser. Laut Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Sabine Weinert zeigen die Daten außerdem, dass die Kinder zwar wichtige Entwicklungsfortschritte über die Kindergartenjahre gemacht haben; die frühen bildungsbezogenen Kompetenzunterschiede waren aber auch über die Einschulung hinaus sehr stabil und erwiesen sich als bedeutsam für die weitere geistige, sprachliche, sozio-emotionale und schulische Entwicklung der Kinder. Wer also etwas gegen Bildungsungleichheit unternehmen will, muss in der Zeit vor der Schule ansetzen, so die Botschaft.

Dass sich das Können der Kinder schon wenige Monate nach der Geburt auseinanderentwickelt, zeigen Ergebnisse einer Studie, an der Jan Skopek vom Trinity College Dublin beteiligt war. Skopek leitete von 2010 bis 2013 das Forschungsdatenzentrum des NEPS und verwendet auch weiterhin NEPS-Daten – wie viele andere internationale Forschende.

Gleiche Chancen ermöglichen

Auf welche Weise Kleinkinder in dieser entscheidenden Lebensphase gefördert und erzogen werden, erforscht der Lehrstuhl für Frühkindliche Bildung und Erziehung. Das Team untersucht etwa, wie sich die frühkindliche Bildungsqualität in Familien und Kitas auf die Entwicklung von Kindern auswirkt. Es geht darum, die Qualität von frühpädagogischen Einrichtungen zu verbessern. Oder auch darum, Bildungsungleichheiten im frühen Kindesalter vorzubeugen. Beispielsweise hat die Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Yvonne Anders mit einem Team das Projekt Chancenreich evaluiert, das Familien mit Kleinkindern aus allen sozialen Schichten bei der Erziehung unterstützt.

Fünf Fragen an Pädagogin Yvonne Anders

„Das Herforder Projekt Chancenreich wurde von der Carina Stiftung in Kooperation mit der Stadt Herford in Nordrhein-Westfalen entwickelt und wird vom Projektträgerverein Chancenreich Herford e.V. eingeführt. Das Projekt ist an wissenschaftliche Erkenntnisse aus internationalen Modellprojekten angelehnt. Es stellt ein freiwilliges Angebot für Familien zur Unterstützung bei der Pflege und Erziehung ihrer Neugeborenen und Kleinkinder dar. Chancenreich steht allen Eltern mit Neugeborenen in Herford offen.

Befunde aus der Praxis zeigen, dass Angebote, die für Familien aus allen sozialen Schichten frei zugänglich sind, häufiger von Familien der Mittelschicht in Anspruch genommen werden. Familien in benachteiligten Lebenslagen zu erreichen, stellt dagegen eine große Herausforderung dar. Ein Ziel von Chancenreich ist es daher, auch diese Familien in das Projekt mit einzubinden. Um dies zu erreichen, bietet Chancenreich den Familien unter anderem Familienbesuche, ein Elternhandbuch, kostenfreie Erziehungskurse sowie einen finanziellen Bonus in Höhe von 500 Euro, sofern sie die vorher festgelegten Module absolvieren. Dieses Vorgehen ist bisher in Deutschland einzigartig.

Meine Kolleginnen und ich haben das Projekt über mehrere Jahre begleitet und evaluiert. Hierfür haben wir eine quasi-experimentelle Längsschnittstudie durchgeführt, in der wir Chancenreich-Eltern und Kinder und eine Vergleichsgruppe untersucht haben.“

Chancenreich gelingt es, – im Gegensatz zu anderen Ansätzen – auch benachteiligte Familien zu erreichen. Dies zeigt sich zum Beispiel in einem hohen Anteil von Familien mit Migrationshintergrund und einem hohen Anteil an Eltern, die Arbeitslosengeld beziehen.“

„Die Eltern der Chancenreich-Familien zeigen im Vergleich zur Vergleichsgruppe unter anderem eine bessere gefühlte soziale Unterstützung. Sie schätzen die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen höher ein. Und in der Einstellung zu den Vorsorgeuntersuchungen treten geringere soziale Ungleichheiten auf, gemessen am Bildungshintergrund der Mutter.“

„Die Kinder der Chancenreich-Familien zeigen aus Sicht der Erzieher*innen ein geringeres Problemverhalten und aus Sicht der Eltern höhere Alltagsfertigkeiten. Insgesamt verwenden die Kinder einen höheren Wortschatz im Vergleich zu einer altersähnlichen Stichprobe aus der Evaluation des Bundesprogramms Schwerpunkt-Kitas: Sprache & Integration. Besonders wirksam erweisen sich Kurse, die auf eine Stärkung der Bindung und Beziehung zwischen Eltern und Kindern angelegt sind. Die Ergebnisse der Längsschnittstudie zeigen, dass die erreichten Erfolge auch nach zwei Jahren noch stabil sind. Etwa 60 Prozent aller Eltern mit Neugeborenen nehmen an dem Projekt teil.“

„Das Projekt Chancenreich ist ein außergewöhnliches Projekt. Es ist einerseits auf Basis wissenschaftlicher Kenntnisse entwickelt und weist eine hohe inhaltliche Qualität auf. Es ist aber auch sehr erfolgreich in der Ansprache und Akzeptanz bei den Eltern. Beides gleichzeitig gelingt nur wenigen Ansätzen. Zusätzlich gehört es zu den wenigen Projekten, die wissenschaftlich fundiert auf ihre Wirkungen hin bis auf die Ebene der Kompetenzen der Kinder untersucht wurden. Das Chancenreich-Projekt entwickelt sich stetig weiter, das zeigt auch die Entwicklung einer Eltern-App, die eine spezifische Komponente zur Förderung der sprachlichen Entwicklung der Kinder enthält und aktuell ebenfalls auf seine Akzeptanz und Wirkungen hin untersucht wird.“

Schule

Für den älteren Sohn von Roy und Mona hat ein aufregender, neuer Lebensabschnitt begonnen, als er eingeschult wurde. In der ersten Klasse lernt er gerade grundsätzliche Verhaltensweisen im Alltag: sich im Unterricht zu konzentrieren, Hausaufgaben selbstständig zu machen, sich an Regeln zu halten. Im Mathematikunterricht addiert er Zahlen bis 20. Und im Fach Deutsch hat er die ersten Buchstaben kennengelernt. Nun übt er Laute und Silben. „Seit er in die Schule geht, sieht er die Welt mit anderen Augen“, beschreibt Mona. „Er bleibt zum Beispiel manchmal an der Ampel länger stehen, um ein Straßenschild zu lesen.“ Weil es dem Jungen so viel Spaß macht, die neu erlernte Fähigkeit anzuwenden, liest er Mona regelmäßig Texte vor.

Den Lernerfolg von Kindern im Vorschul- und Schulalter untersucht der Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung. Der Lehrstuhl ist gut vernetzt mit unterschiedlichen Disziplinen wie der Erziehungswissenschaft, Psychologie, Fachdidaktik und Soziologie. Im dazugehörigen Masterstudiengang profitieren Studierende von der interdisziplinären Vernetzung und dem starken Fokus auf Forschung. Diese Kombination ist an deutschen Universitäten selten. Zu den Teilgebieten, die der Lehrstuhl erforscht, gehört unter anderem die Lesekompetenz.

Lesen lernen – ein langer Prozess

In der Vor- und Grundschule entwickeln Kinder erste Fähigkeiten im Lesen. „Insgesamt ist es ein sehr langer Prozess, lesen zu lernen“, erklärt Prof. Dr. Maximilian Pfost vom Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung. Mit einzelnen Wörtern fängt der Lernprozess an. Dann liest man schneller, versteht Texte besser und entwickelt Strategien, um mit schwierigen Passagen umzugehen.

Alle drei Jahre misst die PISA-Studie weltweit die Lesekompetenz von 15-Jährigen mit standardisierten Tests. 2018 lagen die deutschen Schülerinnen und Schüler mit 498 Punkten über dem OECD-Durchschnitt. Aber: Rund ein Fünftel von ihnen konnte kaum den Sinn von Texten erfassen und reflektieren. Besonders auffällig ist, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lesekompetenz in Deutschland überdurchschnittlich stark ausgeprägt ist. Jugendliche aus Familien mit geringem Bildungsniveau können häufig schlechter lesen.

„Die ersten Unterschiede entwickeln sich sehr früh“, sagt Maximilian Pfost. „Vereinfacht gesagt, legen Eltern aus einer höheren Bildungsschicht Wert darauf, ihren Kindern Spaß am Lesen zu vermitteln. Zum Beispiel imitieren sie beim Vorlesen unterschiedliche Stimmen. Dagegen haben Eltern aus einer niedrigeren Bildungsschicht oft selbst wenig Spaß am Lesen.“ Zwischen Lesefreude und -kompetenz besteht eine Wechselwirkung: Wer mehr liest, kann es besser. Wer es besser kann, hat größere Freude daran und liest mehr. Maximilian Pfosts Tipp: „Am besten für die Entwicklung der Lesekompetenz ist es, gemeinsam mit Kindern in Geschichten einzutauchen und darüber zu sprechen – ob im Kindergarten oder zuhause.“

Dieser Empfehlung schließt sich LIfBi-Direktorin Cordula Artelt an, die den Lehrstuhl für Bildungsforschung im Längsschnitt an der Universität Bamberg innehat. Denn: Gute Leserinnen und Leser finden sich auch in der digitalen Welt besser zurecht. „In den letzten 20 Jahren hat sich Lesen fundamental verändert“, erläutert Cordula Artelt. „Durch das Internet wird man ständig mit unterschiedlichen Texten konfrontiert – von Sachtexten bis hin zu Meinungen. Kinder und Jugendliche müssen lernen, Quellen zu bewerten: Was ist richtig, was ist falsch? Wer hat den Text geschrieben?“

Der Bildungsforscherin ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler die Texte hinterfragen, die sie lesen. Nötig sind aber nicht nur Kompetenzen im digitalen Lesen, sondern mehr noch: „Digitale Kompetenzen müssen in den Lehrplänen verankert werden – sowohl grundlegend als auch fächerübergreifend.“ Damit meint Cordula Artelt keine zusätzliche Unterrichtsstunde in Informatik, sondern digitale Kompetenzen in verschiedenen Fächern. Zum Beispiel könnten Jugendliche im Geschichtsunterricht lernen, Quellen im Internet einzuordnen und zu bewerten.

Pädagogik- und Didaktik-Wissenschaftler*innen erforschen Schule und Unterricht ebenfalls. Sie richten ihren Blick vor allem auf Lehrkräfte und die Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Beispielsweise beschäftigen sie sich damit, wie Lehramtsstudierende gut auf die Vielfalt einer Schulklasse vorbereitet werden können: Schüler*innen unterscheiden sich unter anderem in ihrer ethnischen Herkunft, ihrem Vorwissen, ihrem Geschlecht, ihrer Motivation und ihren Leistungen.

Um Lehrkräfte für Diversität zu sensibilisieren, führen Grundschulpädagogin Prof. Dr. Miriam Hess und Projektmitarbeiterin Verena Keimerl vier Lehrprojekte durch und evaluieren sie wissenschaftlich. Das Gesamtprojekt heißt ProHet (Professionalisierung im Hinblick auf Heterogenität und Diversität). Es ist ein Baustein der Initiative WegE: Wegweisende Lehrerbildung, die die Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der Universität Bamberg weiterentwickelt und profiliert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert WegE im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung mit 6,8 Millionen Euro.

Übergang ins Berufsleben

Vor über 20 Jahren gingen Mona und Roy selbst noch in die Schule und standen vor der Entscheidung, welchen beruflichen Weg sie einschlagen wollten. Monas Eltern hatten damals beide eine Ausbildung gemacht: ihre Mutter als Krankenschwester, ihr Vater als Fernseh- und Radiotechniker. Als erste in der Familie studierte Mona und beendete das Studium mit einem Diplom in Wirtschaftswissenschaften. Auch Roy entschied sich für diesen Fachbereich. In seiner Familie hatte seine Mutter Lehramt studiert und sein Vater eine Ausbildung als Versicherungskaufmann absolviert.

An der Ruhr-Universität Bochum studiert Mona Wirtschaftswissenschaften.

Roy schließt den Bachelorstudiengang Computer & Mathematical Sciences an der University of Western Australia ab.

Im Fernstudium absolviert Roy bei der britischen University of Warwick den Masterstudiengang Business & Finance.

Die soziale Herkunft, der Bildungserwerb und der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hängen miteinander zusammen. Wie sich soziale Ungleichheiten im Lebensverlauf auswirken, untersuchen Soziologin Prof. Dr. Corinna Kleinert und Soziologe Prof. Dr. Steffen Schindler. Beide haben eine Professur an der Universität Bamberg inne. Corinna Kleinert ist außerdem stellvertretende Direktorin des LIfBi. Die Forschenden verdeutlichen, welche Rolle soziale Ungleichheiten spielen, wie sie entstehen – und geben der Politik Ansatzpunkte, um neue Entscheidungen zu treffen.

Selbst wenn Kinder die gleichen Fähigkeiten haben und gleich schlau sind, treffen Familien ganz unterschiedliche Bildungsentscheidungen.

Prof. Dr. Corinna Kleinert

Junge Arbeitslose

Wie wirken sich Kultur, Familie oder Politik auf Einzelne aus? Dafür interessiert sich etwa Prof. Dr. Michael Gebel vom Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Methoden der empirischen Sozialforschung. Er führt international vergleichende Studien durch – mit großem Erfolg. Um die Folgen befristeter Beschäftigung zu vergleichen, warb er beim Europäischen Forschungsrat (ERC) den renommierten ERC Starting Grant und 1,4 Millionen Euro ein.

Unsicherer Arbeitsmarkt, befristete Beschäftigungen, Arbeitslosigkeit: Darum geht es auch im internationalen Forschungsprojekt EXCEPT – Social Exclusion of Youth in Europe. Beteiligt waren unter anderem Michael Gebel und Christoph Schlee. Das Forschungsteam hat europaweit große Bevölkerungsumfragen analysiert und in neun west- und osteuropäischen Ländern 400 Tiefeninterviews mit jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren geführt. Denn gerade junge Menschen sind oft von Arbeitslosigkeit und unsicheren Jobs betroffen. Was sind die Folgen?

„Die Analyse der großen Bevölkerungsumfragen hat in allen untersuchten Ländern ähnliche Muster offengelegt“, erläutert Michael Gebel. Zum Beispiel: Arbeitslosigkeit fühlt sich für Betroffene schlimmer an als befristete Arbeitsverhältnisse. In Ländern mit offenen Bildungssystemen, in denen Menschen eine zweite Chance auf Bildungsabschlüsse erhalten, werden die negativen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit abgemildert. Dies gilt auch in Ländern, in denen der Staat Arbeitslose finanziell mehr unterstützt.

Vertiefende Einblicke konnten in den Interviews gewonnen werden: „Generell nehmen junge Arbeitslose in Deutschland ihre Situation eher negativ wahr“, sagt Christoph Schlee. „Die Langzeitarbeitslosen sind oft sehr frustriert und haben Existenzängste. Dagegen sind Personen direkt nach dem Studium eher zuversichtlich, weil sie nur eine vorübergehende Arbeitslosigkeit erwarten.“ Tatsächlich zeigt die Studie, dass Menschen mit höherer Bildung in Europa bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz haben.

Ihre Erkenntnisse haben die Forschenden an die Politik weitergegeben, etwa an die Europäische Kommission. Das Besondere am Projekt ist nicht nur, dass es mehrere Länder umfasst. „Ein Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir den jungen Erwachsenen eine Stimme gegeben haben“, betont Michael Gebel. In Interviews, Diskussionsveranstaltungen und einem Fotowettbewerb konnten sie ihre Sicht einbringen.

Tablets in Berufsschulen

Auf Basis der soziologischen Erkenntnisse entstehen bisweilen didaktische oder pädagogische Forschungsfragen wie: Können Lehrkräfte das Lernen im Unterricht so gestalten, dass soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden? Wirtschaftspädagoge Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz analysiert beispielsweise, wie Lehrkräfte digitales Lernen an beruflichen Schulen wirksam gestalten können.

Zum einen stellt er fest, dass Schülerinnen und Schüler mit geringeren Bildungsabschlüssen größere Schwierigkeiten haben, dem Tablet-Unterricht zu folgen. Zum anderen schlussfolgert er aus bisherigen Studien: „Wenn Lehrkräfte Tablets im Unterricht einsetzen, steigen die Motivation und die Lernergebnisse aller Berufsschülerinnen und -schüler – gleichgültig, welchen Bildungsabschluss sie haben.“ Entscheidend sei, die Tablets nicht nur für Internetrecherchen zu verwenden, sondern bewusst didaktische Szenarien zu entwickeln. So könnten Lehrkräfte an Berufsschulen beispielsweise virtuelle Bewerbungsgespräche oder Kundengespräche mit den Auszubildenden einüben.

„Im privaten Bereich verwenden junge Erwachsene Videochats, aber sie wissen nicht, worauf sie bei Videokonferenzen im beruflichen Kontext achten müssen“, sagt Gerholz. „Es ist die Aufgabe von Lehrkräften, ihnen das beizubringen.“ Sein Wunsch ist, dass Tablets sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden, damit Schülerinnen und Schüler zeitgemäß auf das Berufsleben vorbereitet werden.

Projekte

Vor Monas und Roys Söhne liegen Lebenswege mit unterschiedlichsten Optionen. Entscheiden sie sich für eine Ausbildung oder ein Studium? Welchen Beruf wählen sie? Egal, ob sie eines Tages als Controller, Erzieher, Koch oder Schreiner arbeiten – für ihre Zukunft wünscht sich das Ehepaar vor allem eines: „Es wäre schön, wenn unsere Söhne all ihre Fähigkeiten entwickeln und voll ausschöpfen können“, fasst Roy ihren gemeinsamen Wunsch in Worte. „Ich hoffe, dass sie ihre ganz persönlichen Talente auf positive Weise in die Gesellschaft einbringen werden.“

Die eigenen Entscheidungen wirken sich auf den persönlichen Lebensweg, den Bildungs- und Erwerbsverlauf aus. Große Bedeutung haben dabei aber auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Die Empirische Sozialforschung zu Bildung und Arbeit richtet ihren Blick sowohl auf einzelne Lebensläufe als auch auf das große Ganze. Welche Fragen Forschende untersuchen, zeigen beispielhafte Projekte.

Diese Multimedia-Reportage stellt den Forschungsschwerpunkt Empirische Sozialforschung zu Bildung und Arbeit  der Universität Bamberg vor.

Redaktion und Text: Patricia Achter
Videos: Johannes Titze
Grafiken: Michael Feierabend

Neugierig geworden? Dann schauen Sie sich gerne unsere Multimedia-Reportagen zu weiteren Forschungsschwerpunkten an!

Kontakt           Impressum          Datenschutz